Müller: Richtgrößenprüfungen ablösen

Kiel, 30. Mai 2011 – "Wir wissen, dass ungefähr die Hälfte der chronisch Kranken die ihnen verordneten Medikamente nicht wie verschrieben einnehmen. Damit wird nicht nur das Behandlungsziel verfehlt, sondern es kostet auch unnötig viel Geld. Hinzu kommen unerwünschte Arzneimittelereignisse. Angesichts der zunehmenden Multimorbidität und der damit steigenden Zahl an Medikamentenverordnungen ist es nötig, neue Wege zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit und der leitliniengerechten Arzneimittelverordnung zu gehen. Die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat zusammen mit der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ein Konzept entwickelt. Es besteht aus drei Komponenten: Dem Medikationsmanagement, einem Medikationskatalog und der Wirkstoffverordnung." Das hat KBV-Vorstand, Dr. Carl-Heinz Müller, heute auf der Vertreterversammlung (VV) der KBV in Kiel gesagt.

Das Konzept sichert Ärzten eine stärkere aktive Rolle im Versorgungsmanagement. Die Richtgrößenprüfung wird abgelöst durch Versorgungsziele auf Basis des Medikationskatalogs. Die Therapiehoheit bleibt in vollem Umfang erhalten. "Zusätzlich fordern wir die Ablösung der Richtgrößenprüfung als Regelprüfart auch bei Heilmittelverordnungen", so Müller. Nur so könne der Arztberuf wieder attraktiver werden.

Als zweites wichtiges Thema hob Müller die Vernetzung der Ärzte und den Datenschutz hervor. Den Goldstandard für die sichere Vernetzung bietet das KV-SafeNet*. Bereits 18.500 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten nutzen die Online-Anbindung über das KV-SafeNet*, 9.000 die über das KV-FlexNet und weitere 53.000 nutzen die Anbindung über das KV-WebNet.
Nicht nur in den Praxen, sondern auch im eigenen Haus schreibt die KBV dem Datenschutz eine große Bedeutung zu. "Als erste Organisation der ärztlichen Selbstverwaltung haben wir unser Informationssicherheitsmanagementsystem nach dem internationalen Standard ISO 27001 zertifizieren lassen", sagte Müller vor den VV-Delegierten. Die Auszeichnung erhalten nur solche Unternehmen, welche die strengen, weltweit anerkannten Standards im Datenmanagement erfüllen.

Die kürzlich entdeckte Schwachstelle in eHealth-BCS-Kartenterminals bedauerte Müller sehr, betonte aber: "Patientendaten sind nicht betroffen. Kein einziger Patient muss sich also Sorgen machen, dass seine sensiblen Daten einer Gefahr ausgesetzt sind." Allerdings hätte der Vorfall gezeigt, dass der Leitsatz der KBV "Qualität geht vor Schnelligkeit" richtig ist. Einen Stopp des Basis-Rollouts forderte er für den Fall, dass es den Herstellern nicht gelingt, den Fehler mittels eines Softwareupdates zügig zu beheben. Dieser müsse für die Ärzte kostenfrei sein. Bei der Datensicherheit dürfe es keine halben Sachen geben, so Müller.

Im Sinne einer besseren Patientenversorgung forderte Müller eine Stärkung der Allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV). Eine erste Analyse der Versorgungssituation in der KV Westfalen-Lippe habe gezeigt, dass dies im Interesse der Patienten sei. "Seit Umsetzung der ambulanten Palliativversorgung sterben in der Region Bielefeld 70 Prozent der Menschen zu Hause, 17 Prozent in Hospizen und nur noch 13 Prozent in einem Krankenhaus. Bevor die Patienten die ambulante Palliativversorgung in Anspruch nehmen konnten, sind 70 Prozent in Krankenhäusern verstorben. Die Zahlen zeigen überdeutlich, dass Menschen lieber in Würde zu Hause sterben möchten." Ein geeignetes Versorgungskonzept habe die KBV-Vertragswerkstatt bereits vorgelegt. Ziel sei es, für die AAPV eine kollektivvertragliche Regelung zu etablieren, damit möglichst bald alle gesetzlich Versicherten von einem guten Angebot profitieren können. Leider verliefen Gespräche mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen "immer noch sehr zögerlich", kritisierte Müller.